Zum Tag der Kinderrechte

20. November 2023

Heute, am 20. November, ist Tag der Kinderrechte, denn an diesem Tag 1989 wurde die 54 Artikel umfassende UN-Kinderrechtskonvention angenommen. Fast ein Drittel der Menschen, die nach Deutschland flüchten, sind Kinder. Als Verein, der sich für die Rechte und Interessen von unbegleiteten minderjährigen und jungen volljährigen Geflüchteten einsetzt, wollen wir diesen Tag nutzen, um aktuelle politische und rechtliche Entwicklungen im Bereich Flucht und Migration kritisch zu beleuchten.

In den letzten Wochen und Monaten gab und gibt es zahlreiche Vorschläge, Maßnahmenpakete oder Gesetzesentwürfe sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene. Die Rechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen finden darin jedoch so gut wie keine Beachtung, sondern werden zum Teil sogar eingeschränkt.

Am 06. November haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Regierungschef*innen der Länder getroffen und einen Beschluss für „Humanität und Ordnung“ gefasst. Dabei ist Humanität in Form von Kindeswohl und Menschenrechten nicht zu finden:
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen 36 statt zuvor 18 Monate gezahlt werden. Statt Bargeldzahlungen, soll es eine Bezahlkarte geben. Asylverfahren sollen in Drittstaaten externalisiert und Binnengrenzen stärker kontrolliert werden. Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag soll der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nun doch nicht mit dem erleichterten Verfahren zu GFK-Flüchtlingen gleichgesetzt werden.

All diese Forderungen lassen die Rechte von Kindern und jugendlichen Geflüchteten außer Acht. Vor allem zwei Aspekte sind besonders zu betonen:


– Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und Bezahlkarte verhindern kindes- und jugendgerechtes Aufwachsen mit Anspruch auf ausreichende Gesundheitsversorgung.

– die andauernde Beschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten bedeutet andauernde Trennung von Familien. Wir stellen in unserer Arbeit immer wieder fest, dass die Sorge um ihre Familie junge Geflüchtete extrem belastet.

Außerdem manifestiert der Beschluss die ‚Festung Europa‘.
Obwohl das Zurückweisen von Minderjährigen an Binnengrenzen nach EuGH rechtswidrig ist.
Obwohl das Recht und die Chance einen Asylantrag zu stellen, nicht durch Grenzkontrollen an Außen- oder Binnengrenzen eingeschränkt werden darf.

lifeline e.V. kritisiert diesen Beschluss ebenso wie die aktuellen GEAS-Reformvorschläge. Wir beobachten die Verschärfungen in politischen und rechtlichen Debatten, Gesetzesentwürfen und Maßnahmen mit Sorge und Wut.

Grundlegende Menschen- und Kinderrechte werden verraten.

Nicht nur am heutigen Tag der Kinderrechte fordern wir ein Umdenken und -handeln in der Migrationspolitik. Für ein menschenwürdiges Leben für alle geflüchteten Menschen,
für alle Kinder und Jugendliche!

30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz: 200 Organisationen fordern seine Abschaffung

Presseerklärung

25. Mai 2023

1993 beschloss der Bundestag die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes als Instrument der Abschreckung. Zum 30. Jahrestag der Beschlussfassung am 26. Mai fordern mehr als 200 Organisationen die Gleichbehandlung aller Menschen in Deutschland nach den Regeln des Sozialgesetzbuchs: “Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!”


Am 26.5.1993 beschloss der Bundestag im sogenannten Asylkompromiss, das in der Verfassung garantierte Grundrecht auf Asyl stark zu beschneiden, um Flüchtlinge möglichst fernzuhalten. Gleichzeitig wurde mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ein neues Gesetz geschaffen, das die Lebensverhältnisse von Asylsuchenden in Deutschland gezielt verschlechtern und die soziale Versorgung auf ein Niveau deutlich unterhalb der regulären Sozialleistungen absenken sollte.

Ziel des Gesetzes war es, Schutzsuchende durch das Wohnen in Sammelunterkünften, durch niedrigere Leistungen und durch Sachleistungen statt Geld abzuschrecken oder zur Ausreise zu bewegen. Auch heute liegen die Regelsätze des AsylbLG deutlich unter denen des Bürgergelds beziehungsweise der Sozialhilfe. Sachleistungen statt Geld bedeuten für die Betroffenen zusätzliche Einbußen. Zudem führt eine nach dem Gesetzeswortlaut stark beschränkte Gesundheitsversorgung in der Praxis zu verspäteter und unzureichender Behandlung, und behördliche Sanktionen führen zu weiteren Kürzungen.

“Die Menschenwürde zählt – für Schutzsuchende darf es keinen niedrigeren Standard geben”, kritisiert Andrea Kothen, Referentin von PRO ASYL. “Es ist Zeit, dieses beschämende Kapitel deutscher Abschreckungspolitik der 1990er Jahre endlich zu beenden.”

Von Anfang an hatten sich Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen das AsylbLG als diskriminierendes Sondergesetz gewandt. Seit Anfang 2023 fand sich nun ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen unter dem Motto “Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!” zusammen. Sie fordern die Abschaffung des AsylbLG und die Einbeziehung Geflüchteter in das reguläre Sozialleistungssystem. Unter den 200 Unterzeichner*innen finden sich u.a. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Organisationen von Migrant*innen, Vereinigungen von Anwält*innen, Jurist*innen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Frauenverbände und Kinderrechtsorganisationen.

Ein Gesetz gegen die Menschenwürde

Mit dem AsylbLG kam man den aggressiven und menschenfeindlichen Stimmen gegenüber Schutzsuchenden in Politik und Gesellschaft Anfang der 1990er Jahre weit entgegen. 2012 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, die Menschenwürde sei “migrationspolitisch nicht zu relativieren” und verurteilte damit die Absenkung von Leistungen zum Zweck der Abschreckung (Beschluss vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10). Zuletzt verwarf das höchste deutsche Gericht im Oktober 2022 gekürzte Leistungssätze für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften als verfassungswidrig (Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21).

Die aktuelle Bundesregierung will das Asylbewerberleistungsgesetz laut Koalitionsvertrag “im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln”. Bis heute ist nicht einmal das Urteil des Verfassungsgerichts vom Oktober 2022 im AsylbLG umgesetzt. Ein Blick in die Geschichte des AsylbLG zeigt allerdings, dass ein von vornherein auf Diskriminierung angelegtes Sondergesetz sich nicht verfassungskonform ändern lässt, sondern je nach politischer Stimmungslage immer wieder dazu einlädt, neue Zumutungen und Schikanen auf den Weg zu bringen. Sozialrechtler*innen weisen zudem stetig darauf hin, dass sehr viele behördliche AsylbLG-Bescheide zum Nachteil von Geflüchteten nachweislich falsch sind und vertreten die davon Betroffenen.

Unabhängige Gruppen haben für die Zeit vom 20.-26. Mai bundesweite Aktionstage für die Abschaffung des AsylbLG ausgerufen.

Eine andere Flüchtlingspolitik ist möglich

Die Flüchtlingsaufnahme 2015/16 und die Aufnahme von über einer Million ukrainischer Geflüchtete 2022 haben eine offene und hilfsbereite Gesellschaft sichtbar gemacht. Gleichwohl vereinbarten Bund und die Ministerpräsident*innen der Länder im Mai 2023 Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik, die unter anderem auch neue Sozialleistungskürzungen beinhalten. Dem gegenüber verweisen die Integrationsminister*innen der Länder auf die positiven Erfahrungen mit der Gleichstellung ukrainischer Geflüchteter und dringen auf einen zügigen, diskriminierungsfreien Zugang zu Integrationsleistungen “für alle vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflüchteten Menschen”. Für Kommunen und Länder hätte die Gleichstellung von Geflüchteten wegen der stärkeren Bundesbeteiligung und wegfallender Sondergesetz-Bürokratie auch finanzielle Vorteile.

Der vollständige Text des Appells und die aktuelle Unterzeichnerliste finden Sie hier.

Dem Bedarf an Einwanderung gerecht werden und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

OFFENER BRIEF

an die Landesregierung und Kommunale Spitzenverbände in Schleswig-Holstein zum Flüchtlingsgipfel am 16. Februar 2023

Wir sind besorgt!

Allenthalben gefallen sich einige Vertreter*innen der EU- und Bundespolitik darin, über das Martyrium der Menschen in repressiven Staaten wie Iran oder Russland, in den Erdbeben-geschüttelten Gebieten der Türkei und Syriens oder über die Kriegsgewalt innerhalb und außerhalb Europas öffentlich demonstratives Bedauern zu äußern.

Gleichzeitig verbreiten Teile der Politik aktuell einen Alarmismus, der Schutz und Überleben suchende Menschen – insbesondere aus Drittstaaten – als Belastung abstempelt, regelmäßig gesellschaftliche Überforderung behauptet und der Öffentlichkeit unrealisierbare Rückführungsoffensiven verspricht.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein den für den 16. Februar zwischen Bund, Ländern und Kommunen geplanten Flüchtlingsgipfel als eine Gelegenheit, eingedenk offenkundiger zuwanderungspolitischer Bedarfslagen zu Augenmaß und flüchtlingspolitischer Vernunft zurückzukehren.

Denn wir brauchen Zuwanderung. Wir schaffen das. Wir haben Platz.Die unterzeichnenden Organisationen rufen die Landesregierung Schleswig-Holstein und die Kommunalen Spitzenverbände dazu auf, beim Flüchtlingsgipfel für eine nachhaltige, vom Prinzip der Gleichbehandlung und von Empathie gegenüber den Schutzsuchenden gekennzeichnete Aufnahme- und Integrationspolitik einzutreten.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch Geflüchtete müssen monatelang auf Behördentermine und -bescheide warten. Solange bekommen sie z.B. keine Aufenthaltserlaubnis, keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis, keine Verlängerung der Duldung. Aufgrund der Wartezeiten gehen – auch zulasten der Wirtschaft – Jobs und Ausbildungsplätze verloren oder Mietverträge platzen. In der Folge werden auch so ambitionierte politische Vorhaben, wie die Einbürgerungsoffensive oder die Fachkräfteeinwanderung zur Makulatur. Wir appellieren an den Flüchtlingsgipfel, die Voraussetzungen für eine Perspektiven schaffende, von Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit gekennzeichnete Politik und ausländerbehördliche Verwaltungspraxis[1] zu schaffen. Erste Schritte zu diesem Ziel sind:

– Gewährleistung des regelmäßigen analogen und digitalen Zugangs zu Ausländerbehörden

– Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes

-Umwandlung des Stichtags-belasteten und befristeten Chancen-Aufenthaltsrechts zu einer regelmäßigen gesetzlichen Bleiberechtsregelung für alle

-Abschaffung ausländeramtlicher Beschäftigungserlaubnisse

-Regelförderung für migrationsspezifische Integrationsnetzwerke

-Regelförderung für behördenunabhängige Verfahrens- und Rechtsberatung für Geflüchtete

Ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger sind regelmäßig diejenigen, die eine fehlgeleitete Flüchtlingspolitik kompensieren müssen. Ein Abbau bürokratischer Hürden würde auch dazu führen, dass wieder mehr bürgerschaftlich engagierte Menschen sich die Unterstützung von Schutzsuchenden zumuten würden.

Bei der Unterbringung rufen wir zur Abkehr vom Verwaltungsprinzip „warm-sauber-trocken“ auf und fordern die Gewährleistung von Wohnbedingungen, die für Krieg, Verfolgung und anderen Überlebensnöten entkommene Frauen, Männer und Kinder ein integrationsfreundliches und angstfreies Lebensumfeld schaffen. Zielführend dazu wären:

-die Abschaffung der Wohnverpflichtung[2]

-ein Verteilungssystem, das die Bedürfnisse von Schutzsuchenden und die Ressourcen in den jeweiligen Kommunen besser berücksichtigt[3]

-die regelmäßige Unterbringung in privaten Wohnungen, anstatt Gemeinschaftsunterkünften

-die konsequente Umsetzung von Schutzkonzepten für Frauen, Mädchen und andere vulnerable Gruppen unter den Geflüchteten rund um die Uhr

-lückenlose digitale Versorgung mit WLAN und Endgeräten in Gemeinschaftsunterkünften

Anstatt in den Chor nationaler und europäischer Abschottungs- und Externalisierungspolitik einzustimmen, fordern wir die Landesregierung auf, von Bund und den Ländern eine proaktive, dem grundrechtlichen Schutzversprechen gerecht werdende Aufnahme- und Bleibepolitik sowie Außenamtspraxis einzufordern. Zielführende Instrumente auf diesem Wege wären z.B.:

-erleichterte Visavergaben für Verfolgte aus Afghanistan, dem Iran und der Türkei

-Beschleunigung der Visaerteilung beim Familiennachzug

-Angehörigen-Aufnahmeprogramme für Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien anstatt nur kurzfristiger Besuchsmöglichkeiten

-Landesaufnahmeprogramme für Frauen aus Afghanistan

-ein Türkei-Abschiebungsstopp

-Asyl für alle Deserteure

-Abschiebungsschutz für Familien, Kranke und Traumatisierte

-die Abschaffung der Abschiebungshaft

Neben der Aufnahme von Geflüchteten aus Kriegs- und Krisengebieten stehen Bundes- und Länderregierungen, Kommunen und die Gesellschaft in Deutschland vor der Herausforderung, dem Bedarf an Einwanderung gerecht zu werden, hierfür die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Unterzeichnende

-Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein e.V., www.advsh.de

-Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. www.frsh.de

-lifeline – Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Schleswig-Holstein e.V. www.lifeline-frsh.de

-SEEBRÜCKEN Schleswig-Holstein schleswig-holstein(at)seebruecke.org

-ZBBS – Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrant*innen in Schleswig-Holstein e.V. www.zbbs-sh.de

Kontakt: Martin Link, Flüchtlingsrat SH, T. 0431-5568 5640, public@frsh.de


[1] Auch PRO ASYL hat zum Flüchtlingsgipfel einen Katalog möglicher Maßnahmen zur Verbesserung der Lage in den Ausländerverwaltungen vorgelegt.

[2] Gemäß §49 Abs. 2 AsylG können Geflüchtete von der Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen befreit werden; Berlin hat am 26.1.2023 mit der allgemeinen Aufhebung der Wohnpflicht den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht.

[3] Dafür hat z.B. die Stiftung Universität Hildesheim verwaltungsaffine Vorschläge vorgelegt: https://matchin-projekt.de/

Der Leuchtturm des Nordens wurde 2022 an die Gruppe der im lifeline Vormundschaftsverein ehrenamtlich engagierten Vormund*innen von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten verliehen!

“Weil wir das verbriefte Recht von Kinderflüchtlingen auf Schutz und Sicherheit als Auftrag nehmen…”

Am 10.12.2022 hat die Verleihung des Leuchtturms des Nordens im Ratssaal des Alten Kieler Rathauses stattgefunden. Dieser mit 500€ dotierte Preis würdigt seit 2005 jährlich am Weltmenschenrechtstag herausragend für Geflüchtete Engagierte und geht 2022 an die Gruppe der ehrenamtlichen im lifeline-Vormundschaftsverein engagierten Vormund*innen von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten.

Auch in Schleswig-Holstein steigen aktuell die Zahlen der Kinderflüchtlinge.  lifeline e.V. kümmert sich seit 18 Jahren um unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Schleswig-Holstein.

Die bei lifeline engagierten ehrenamtlichen Vormund*innen üben das Aufenthaltsbestimmungsrecht aus, begleiten die Kinder und Jugendlichen im Alltag, stehen in Krisen bei und vertreten die jungen Menschen gegenüber einer nicht selten restriktiven Bürokratie. Eine solche Vormundschaft kann Jahre lang dauern und die Beziehung besteht nicht selten über die Volljährigkeit der Mündel hinaus fort.

Die Laudation auf die Preisträger*innen hat Shabdiz Mohammadi aus Flensburg, der Preisträger des Leuchtturms des Nordens aus dem Vorjahr gehalten. Die Dankesrede für die Gruppe der Preisträger*innen kam von Prof. Konrad Groß aus Kiel.

Die Preisverleihung fand am 12. Dezember 2022 im Ratssaal des Kieler Rathauses statt und wurde vom Verein Neumünster Medien e.V. aufgezeichnet. Hier kann man das Video herunterladen.

Der Vorstand und das hauptamtliche Team von lifeline e.V. gratulieren herzlich zu dieser verdienten Auszeichnung!

Jugendliche bleiben außen vor?!

2.12.2022
Zur heutigen Abstimmung im Bundestag:

lifeline e.V. und Flüchtlingsrat: Chancen-Aufenthaltsrecht soll nur selektiv Chancen vergeben.

Beim neuen Chancen-Aufenthaltsrecht für langjährig geduldete Geflüchtete gibt es auf den letzten Metern noch einige gravierende Änderungen: Unter anderem wird gegenüber dem ersten Gesetzentwurf der Stichtag auf den 31.10.2022 verschoben und das Chancen-Aufenthaltsrecht auf 18 Monate verlängert.

Aber es gibt auch eine gravierende Verschlechterung: Jugendliche und junge Erwachsene sollen eine Aufenthaltserlaubnis nach §25a Aufenthaltsgesetzt nur erhalten, wenn sie mindestens ein Jahr geduldet wurden. Für ein Aufenthaltsrecht nach §25b AufenthG gilt diese Einschränkung nicht.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht soll heute in 2. und 3. Lesung im Bundestag beschlossen werden.

Flüchtlingsrat und Vormundschaftsverein lifeline rufen den Bundestag auf, dem Gesetz in dieser Form nicht zuzustimmen, sondern Nachbesserung zugunsten der jugendlichen Geflüchteten durchzusetzen.

Es war ein langer Weg zu dieser Gesetzesnovelle: Die Voraufenthaltszeit für gut integrierte Jugendliche, um nach §25a AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, soll endlich von vier auf drei Jahre verkürzt werden. Ein Meilenstein für die jungen Menschen, deren Bemühungen damit wesentlich schneller zu der so notwendigen Aufenthaltsverfestigung – und damit zu Sicherheit und erfolgreicher Integrationsperspektive – führen können.

Nun soll diesen jungen Menschen, die nach allen Erfahrungen – wenn man sie lässt – in kürzester Zeit Höchstleistungen vollbringen, ein Duldungsjahr auferlegt werden. Ein Jahr, in dem sie beim Bildungs- und Arbeitsmarktzugang ausgebremst werden, ständig die Abschiebung droht und sie so weiter einer demotivierenden Unsicherheit ausgesetzt sind.

„In der Begleitung von jungen Geflüchteten erleben wir täglich, dass aber gerade Sicherheit, Perspektive und Selbstwirksamkeit für die Jugendlichen entscheidend sind“, erklärt Dorothee Paulsen, Referentin beim Vormundschaftsverein für minderjährige Geflüchtete – lifeline e.V.

Dieser „faule Kompromiss“ (PE BumF, tdh, JoG und PRO ASYL v. 30.11.2022) bewirkt aber das Gegenteil. „Und er sendet das Signal, dass die politische Verweigerung wirksamen Flüchtlingsschutzes künftig besonders auf dem Rücken derer ausgetragen werden soll, die nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz den höchsten Schutzanspruch und gleichzeitig am wenigsten Stimme haben“, mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.

Angesichts von Arbeits- und Fachkräftemangel und zu vielen unbesetzten Ausbildungsstellen sei dies zudem für die gesamte Gesellschaft eine widersinnige Entscheidung, ausgerechnet hochmotivierte junge Menschen auszubremsen.

Pressekontakt:

lifeline e.V., Dorothee Paulsen, T. 0431 – 240 58 27, dorothee.paulsen(at)lifeline-frsh.de
Flüchtlingsrat SH, Martin Link, T. 0431-5568 5640, public(at)frsh.de